Dr. med. univ. Markus Berger, Obmann des Vereins Österreichischer Polleninformationsdienst, HNO-Arzt in der Klinik Landstraße als auch im Allergiezentrum Wien West tätig, präsentierte am 18. April im Rahmen eines Webinars der Österreichischen Lungenunion das Thema „Pollen im Klimawandel – Veränderung des Allergenbildes in Österreich“.
Allergie ist eine zunehmende Volkskrankheit, von der weltweit rund 400 Millionen Menschen betroffen sind. In Österreich und Deutschland leidet etwa ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung an einer Allergie, Tendenz steigend. Die allergische Rhinitis, die Pollen- oder Hausstaubmilbenallergie, sind die durch sogenannte IgE-Antikörper vermittelte Typ-1-Allergien. Das Immunsystem reagiert dabei auf eigentlich harmlose Stoffe, die Allergene genannt werden. Die Entwicklung einer Allergie verläuft in zwei Phasen. Sie beginnt mit der sogenannten Sensibilisierungsphase, in der der Körper Antikörper gegen die Allergene bildet, die dann im Blut oder mit den bekannten Skin-Prick-Tests (Hauttests) nachgewiesen werden können. In der zweiten Phase, der Aktivierungsphase, schüttet der Körper die bekannten Botenstoffe wie z.B. das Histamin aus, was zu den typischen Beschwerden führt. Diese Zwei-Phasen-Einteilung ist wichtig für die richtige Diagnose, die immer in Absprache mit den Patient:innen erfolgt. Hauttests können auf verschiedene Allergene positiv reagieren, relevant ist aber nur, ob und wann die Person tatsächlich Beschwerden hat.
Allergien beeinträchtigen die Lebensqualität
Typische Beschwerden bei einer Allergie sind tränende und juckende Augen, eine rinnende und juckende Nase, Niesanfälle sowie nasale Obstruktion. Diese Symptome treten oft jährlich zur gleichen Zeit auf und sind deutliche Anzeichen für eine allergische Rhinitis, z.B. eine Pollenallergie. Ein wichtiger Aspekt bei Allergien ist der sogenannte Etagenwechsel, bei dem sich die Allergie im Laufe der Zeit zu allergischem Asthma entwickeln kann. Besonders gefährdet davon sind Personen, die ihre Allergie ignorieren oder nicht angemessen behandeln lassen. Allergische Beschwerden können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen, indem sie zu Schlafmangel, Tagesmüdigkeit, Depressionen und verminderter Leistungsfähigkeit in Schule oder Beruf führen. Daher ist es wichtig, Allergien frühzeitig und angemessen zu behandeln.
Allergene als Auslöser
Früher ging man davon aus, dass bei einer Pollenallergie das Pollenkorn selbst der Auslöser ist. Tatsächlich befinden sich die Allergene, die Proteine sind, auf der Oberfläche des Pollenkorns. Kommt das Immunsystem mit diesen in Kontakt löst es allergische Reaktionen aus. Allergene befinden sich nicht nur in der Luft, auf Pollen oder Schimmelpilzen, sondern auch in Nahrungsmitteln, Insektengiften sowie Arzneimitteln und können bekannte Allergien auslösen.
Relevante Allergene
Relevante Allergene lassen sich über das Jahr in drei Phasen einteilen:
- Frühblüher (Jänner bis April): Erle, Hasel, Birke und Esche sind die Hauptbäume in dieser Zeit.
- Gräser (April bis September): Diese verursachen besonders im Frühsommer bis Spätsommer Beschwerden.
- Kräuter (September bis Oktober): Die Kräuter Beifuß und Ragweed blühen im Herbst.
Zusätzlich gibt es Pilzsporen (Schimmelpilze), die von Juni bis Oktober Beschwerden verursachen können, sowohl draußen als auch in Innenräumen, wo sie ganzjährig problematisch sein können. Weitere relevante Innenraumallergene sind Tierhaare und Hausstaubmilben.
Wie werden Allergien behandelt?
Die Therapie von Allergien basiert auf drei Säulen:
- Symptomatische Therapie: Diese umfasst unter anderem Antihistaminika und Cortison-Nasensprays, welche die Beschwerden lindern, aber die Allergie selbst nicht heilen.
- Kausale Therapie: Hierzu gehört die Hyposensibilisierung oder Immuntherapie, die darauf abzielt, die Allergie an der Wurzel zu behandeln.
- Allergenkarenz: Dies bedeutet, den Kontakt mit dem Allergen zu vermeiden. Während dies bei Nahrungsmittelallergien einfacher ist, ist es bei Pollenallergien schwieriger, da es kaum möglich ist, Pollen in der Luft vollständig aus dem Weg zu gehen.
Die neue Polleninformation
Der Polleninformationsdienst ist ein im Jahr 2023 gegründeter Verein und hat 2024 eine neue Website erstellt, um Pollenallergiker:innen in Österreich die Allergenkarenz zu erleichtern. Folgende Funktionen werden Ihnen angeboten:
- Aktuelle Pollenvorhersagen und Pollenprognosen: Informationen über die aktuelle Pollenbelastung und deren Auswirkungen.
- Digitales Symptomtagebuch: Nutzer:innen können ihre Symptome eintragen, was personalisierte Symptomvorhersagen ermöglicht.
- Smartphone-App: Zugriff auf alle Funktionen von unterwegs.
- Europa-Landkarten: Unterstützung bei der Urlaubsplanung.
- Ragweed-Finder: Dies war ein Citizen-Science-Projekt, das die Bevölkerung miteinbezog, um Ragweed-Funde zu melden. Über die Website oder die Smartphone-App können Fotos mit GPS-Daten der Pflanze an den Polleninformationsdienst gesendet werden. Biologen überprüften diese Meldungen und leiteten bestätigte Funde an die Landesregierungen weiter, um die Ausbreitung von Ragweed zu bekämpfen. Obwohl die vollständige Verhinderung der Ausbreitung schwierig ist, hilft das Melden größere Funde, Schäden in der Landwirtschaft und Infrastruktur wie Bahn und Autobahn zu minimieren.
- Asthmawetter: Unterstützung für Asthmatiker:innen durch Wettereinflüsse und Unwetterwarnungen.
- Integrierte Wetter-, Umwelt- und Luftverschmutzungsdaten: In Zusammenarbeit mit dem EU-Projekt Copernicus zur Verbesserung der Vorhersagen.
Die Pollen-Vorhersage
Die wichtigste Funktion ist die Pollenvorhersage, die in drei Varianten angeboten wird. Erstens gibt es das aktuelle Allergierisiko, welches das akute Risiko durch das derzeit wichtigste Allergen in der Luft angibt. Es befinden sich auch stundenweise Vorhersagen, die Betroffenen helfen sollen, ihren Tag besser zu planen, zum Beispiel für die Mittagspause im Freien oder das Lüften der Wohnung. Zweitens gibt es eine schriftliche Vorhersage, die ausführlich beschreibt, welche Allergene in der Luft sind, von hochrelevanten bis weniger relevanten. Drittens wird eine 4-Tages-Prognose bereitgestellt.
Auf dem Weg zur Pollen-Prognose
Die Daten zur Pollenvorhersage kommen hauptsächlich aus sogenannten Pollenfallen, die in Österreich und Europa verteilt sind. Diese Fallen saugen pro Minute 10 Liter Luft ein, was in etwa dem Atemvolumen eines Menschen entspricht. Die Pollen bleiben auf einem Klebestreifen haften und werden anschließend von Biologen manuell unter dem Lichtmikroskop ausgezählt. Um aktuellere Daten zu erhalten, betreiben Biologen zusätzlich Phänologie, indem sie wöchentlich Referenzpflanzen in der Natur beobachten sowie dessen Blühstadium erfassen. Der Polleninformationsdienst berücksichtigt zudem Benutzereingaben zu Allergie-Symptomen sowie integrierte Wetter- und Luftverschmutzungsdaten von der GSA und dem EU-Projekt Copernicus.
Entwicklung über die Jahrzehnte
Die globale Erwärmung und die Luftverschmutzung haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutliche Auswirkungen auf die Pollensaison und die Pflanzen in unserer Umgebung gehabt. Die Daten des Polleninformationsdienstes zeigen, dass Frühblüher wie die Esche jetzt etwa 14 Tage früher blühen als noch vor 20-30 Jahren. Gleichzeitig hat die Pollenmenge deutlich zugenommen, bei der Esche sogar um mehr als das Fünffache und bei der Birke um das Doppelte. Es lassen sich somit zwei deutliche Trends erkennen: Einerseits beginnt die Pollensaison immer früher und andererseits nimmt die Pollenmenge immer mehr zu. Ursache dafür sind die steigenden Temperaturen sowie die zunehmende Luftverschmutzung.
Luftverschmutzung und Allergien
Luftverschmutzung umfasst verschiedene Schadstoffe mit unterschiedlichen Effekten. Die wichtigsten Schadstoffe sind Feinstaub (PM10 und PM2.5) (PM= particulate matter), Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid und Ozon. PM10 ist alles unter 10 Mikrometer (µm) und können in den oberen Atemwegen abgefangen werden. Während PM2.5 alles unter 2.5 Mikrometer tief in die unteren Atemwege der Lunge gelangen und gesundheitsschädlich sein kann. Diese Partikel entstehen durch Heizen, Reifen- und Bremsabrieb, Vulkanausbrüche sowie Waldbrände. Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid entstehen durch fossile Brennstoffe, zum Beispiel Autoabgase. Das Ozon gibt es einerseits in der Stratosphäre, wo es als Schutz vor der UV-Strahlung der Sonne dient und andererseits in der Troposphäre, wo es als Treibhausgas fungiert. Diese Luftschadstoffe beeinflussen Menschen und Pflanzen. Feinstaub erhöht das Lungenkrebsrisiko, verschlechtert die Lungenfunktion und kann auch Asthma-Symptome verstärken. Aber auch Stickstoffdioxid kann Asthma verschlimmern und die Allergenität von Pollen erhöhen. Schwefeldioxid und Ozon können Entzündungen in den Atemwegen hervorrufen sowie ebenfalls die Allergenität von Pollen erhöhen. Ebenfalls steigert die erhöhte CO2-Konzentration die Pollenproduktion. Fakt ist, dass die Luftschadstoffe die Beschwerden von Allergiker:innen verstärken können. Deshalb sollen Luftschadstoffe, insbesondere Ozon, in die Vorhersagemodelle integriert werden, damit aktuelle Belastungswerte angezeigt werden können.
Globale Erwärmung
Die globale Erwärmung beeinflusst maßgeblich den Blühzeitpunkt der Pflanzen. Steigende Temperaturen führen dazu, dass Frühblüher wie Birke, Erle, Hasel und Esche früher blühen. Dies hat zur Folge, dass nicht mehr von den gleichen Startterminen ausgegangen werden kann und Allergiker:innen müssen aufmerksamer werden, wann sich was in der Luft befindet. Der Temperaturstress belastet nicht nur die Menschen, sondern auch die Pflanzen und dieser kann die Pollenproduktion erhöhen, da Bäume vermehrt reproduzieren, um ihr Überleben zu sichern. Insgesamt führt die globale Erwärmung und die Luftverschmutzung zu früheren Blühzeiten, erhöhter Pollenproduktion und verstärkten Beschwerden für Allergiker:innen.
Globale Erwärmung und Neophyten
Die globale Erwärmung begünstigt auch das Wachstum von Neophyten, Pflanzenarten, die von Natur aus nicht in Europa heimisch sind, wie z.B. Ragweed, ein hochallergenes Kraut, das von August bis Ende September blüht. Ragweed hat sich in den letzten Jahrzehnten stark in Europa ausgebreitet und verursacht bereits hohe Pollenbelastungen. Die warmen Temperaturen verlängern und verschieben die Saisonen, sodass es fast das ganze Jahr über allergenrelevante Pollen in der Luft gibt. Das zunehmend mediterrane Klima in Österreich begünstigt auch das Wachstum von allergenen Pflanzen wie Olivenbäumen und Zypressen, was zusätzliche Belastungen für Allergiker:innen verursachen kann.
Urbanisierung als weiterer Risikofaktor
Die Urbanisierung beeinflusst die Allergiker:innen ebenso durch die zunehmende Verstädterung sowie Bodenversiegelung und die damit verbundenen erhöhten Temperaturen sowie die Luftverschmutzung. In Städten bleiben Pollen auf Beton liegen und werden vom Wind wieder aufgewirbelt, was die Belastung erhöht. Zudem beeinflusst die Stadtplanung, welche Pflanzenarten angebaut werden. Beispielsweise wird die Purpurerle, die im Dezember blüht, gerne in Städten gepflanzt, bedeutet jedoch erneute Beschwerden für Allergiker:innen. Ein EU-Projekt zielt darauf ab, die Städteplanung allergikerfreundlicher zu gestalten.
Thunderstorm-Asthma
Thunderstorm-Asthma ist ein Phänomen, das derzeit in Australien auftritt, aber in Zukunft aufgrund extremer Wetterbedingungen auch weltweit relevant werden könnte. Bei starken Gewittern erhöht sich die Ozonkonzentration. Pollen und Gräser werden durch den Sturm vermehrt aufgewirbelt und platzen aufgrund der elektrostatischen Aufladung sowie hohen Luftfeuchtigkeit. Durch das Aufplatzen der Pollen können diese tief in die Lunge eindringen. Dies führt zu einem massiven Anstieg von Asthma-Attacken und Krankenhausaufenthalten. Es ist wichtig, dieses Phänomen zu beobachten, da es auch in Europa relevant werden könnte.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es wichtig ist zu beobachten, wie sich die Temperaturen auf die Pollensaison auswirken und welche zusätzlichen Stressfaktoren wie Luftverschmutzung und Urbanisierung die Allergie-Symptome verstärken können. Die Veränderungen in der heimischen Flora und die damit steigende Belastung für Allergiker:innen sind ebenfalls bedeutsame Themen. Tipps wie das Beachten von Pollenvorhersagen, die Verwendung von Pollenschutzgittern und Luftreinigern zu Hause, das Tragen von FFP2-Masken im Freien sowie die Anwendung von Meersalzsprays und Augenlösungen können helfen, die Beschwerden zu lindern.
Weitere Informationen finden Sie unter: https://www.polleninformation.at/
Webinar im April 2024 mit Dr. med. univ. Markus Berger, Obmann des Vereins Österreichischer Polleninformationsdienst, HNO-Arzt in der Klinik Landstraße, auch im Allergiezentrum Wien West tätig